ikarus Gründer Volker Hohmann im Gespräch

30 Jahre ikarus voller Höhen (und Tiefen): Gründer Volker Hohmann verrät, wie es 1993 war und was ihm in Designfragen wichtig ist.

von

Natalie Glebe

Veröffentlicht am:

January 20, 2023 01:00

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Lieber Herr Hohmann, dieses Jahr feiern wir 30-jähriges Jubiläum! Was trieb Sie damals an, ikarus zu gründen?

Im Grunde die Liebe zum Design. Bevor ich ikarus gegründet habe, war ich bereits auf Messen unterwegs und kannte viele Produkte, Hersteller und Personen aus der Branche. Ich fand das ganze Milieu schön und wusste, das würde mir Spaß machen. Die Ursprungsidee war aber auch ein eigener Bedarf. Denn ich stellte fest, dass es schwierig war, in einer Kleinstadt gut gestaltete Produkte zu bekommen oder sich darüber zu informieren – man musste immer in die nächstgrößere Stadt, in meinem Fall nach Frankfurt, fahren, um sich einen Überblick zu verschaffen oder Inspiration zu holen.

Aber auch das war schwierig, es gab kein Internet. Man konnte nur Bücher und Magazine lesen, wie »Schöner Wohnen« oder »Architektur und Wohnen«. Das war alles. In anderen Bereichen gab es Kataloge, die wie eine Art Nachschlagewerk funktionierten. Die Frage danach, wie man mehr Menschen über Design informieren und wie man mehr Menschen eben auch bedienen kann, war schlussendlich die Ursprungsidee für ikarus und den ikarus…design katalog als Nachschlagewerk. Denn auch in der Großstadt beim Designhändler war es oft so, dass die Produkte nicht (immer) vorhanden waren und man beispielsweise mehrere Wochen auf einen Stuhl von Kartell warten musste. Der Wunsch, die Ware auf Lager zu haben und direkt an die Kund:innen verschicken zu können, lag nahe.

Volker Hohmann und unser Zentralllager in Gelnhausen, aus dem kleinere Produkte, wie Accessoires verschickt werden.

Wie sind Sie auf den Namen ikarus gekommen?

Die Pessimisten sagen: »Der stürzt ja ab!«. Für mich war es eher die Vision fliegen zu können. Es sollte auch ein Name sein, der international verwendbar und einprägsam ist; den man gut aussprechen kann. Im Zusammenhang mit der »Mission des Fliegens« kam schließlich ikarus.

Wie und wann ging der Onlineshop damals online?

Tatsächlich relativ früh. Wir waren einer der ersten in der Branche. Auf einem Kongress Anfang 1997 bin ich auf das Internet aufmerksam geworden und dachte, das könnte als weiterer Vertriebskanal interessant sein. Es ist nicht so, dass es nicht auch andere Möglichkeiten und Wege der Werbung gab. Zum Beispiel pressten Quelle, Neckermann und Conrad ihre Kataloge auf CD und verschickten diese an ihre Kundschaft. Das hat sich mir aber nicht so erschlossen. Deshalb dachte ich, wir probieren das mit dem Internet einfach aus. [lacht]

Zum Start in 1997 nahmen wir 30 Produkte online – das passt gerade ja auch gut zu unserem Jubiläum. Insgesamt war das alles aber schon sehr seltsam: Allein der Bildaufbau hat Ewigkeiten gedauert. Viele Dinge, die heute selbstverständlich und Gewohnheit sind und einer Logik folgen, mussten wir komplett neu denken: Wie ist die Suchstruktur, horizontal oder vertikal, wo ist der Warenkorb, wie sieht die Produktseite aus...? Damals war Onlineshopping neu, alles war völlig frei und sah natürlich auch ganz anders aus, als man es heute kennt.

Wenn dann tatsächlich mal ein:e Kund:in bestellt hat, kam die Bestellung bei uns in Gelnhausen am Faxgerät raus. Und das kam auch nur einmal die Woche vor. Der Anfang war also schon sehr mühsam. Mit der Verbesserung der Technik haben wir irgendwann auch mehr Artikel eingestellt. Die Datenauflösung und -übertragung wurde besser, man konnte mehr als eine Ansicht, ein Foto des Produkts zeigen. Also alle Vorteile, die Onlineshopping heute ausmachen, gab es damals noch nicht. Zum Glück haben wir durchgehalten.

»Screenshots« des Webshops Ende der 1990er.

Wie hat sich die Kundschaft, der Geschmack und der Stil verändert von 1993 bis heute?

In den 90ern verkauften wir natürlich noch viel im 80er Jahre Design, häufig schwarz-weiß, viel Metall, sehr roh. Insofern haben wir viele Trends miterlebt. Einige sind gekommen und wieder gegangen. Ende der 90er Jahre kam nach Kiefer und Buche natur, Buche wengeholzfarben, sehr dunkel und satt. Das sah so unglaublich gut und edel aus und war überall auf der Mailänder Möbelmesse zu sehen. Wir hatten es dann auch direkt auf der Titelseite und viele Produkte aus diesem Holz im Katalog. Aber es lief gar nicht, sodass wir es ein Jahr später wieder aus dem Sortiment nahmen. Erst zwei, drei Jahre später wurde Wenge populärer in Deutschland. Wir nahmen es 2003 wieder auf und verkauften es dann auch gut. Es ist immer ein bisschen wie eine Gratwanderung: Zu früh dran sein mit Trends lohnt sich nicht, aber zu spät möchte man natürlich auch nicht sein. Daran hat sich nichts geändert.

Und unsere Kundschaft ist mit uns mitgewachsen. Zu Beginn hatten wir viele junge Kund:innen, die mittlerweile seit 30 Jahren bei uns einkaufen und nun den älteren Kundenstamm bilden. Dennoch schauen wir, dass wir neue Trends und zeitgemäße, junge Kollektionen aufnehmen und durch unser Online-Marketing auch viele junge und jüngere Kund:innen gewinnen. Aber wir haben im Vergleich zu einem reinen Online-Anbieter eben auch ein Klientel 60+, welches online nicht so stark unterwegs ist und sich dann regelmäßig auf den neuen ikarus…design katalog freut, zum Blättern, Stöbern – und dann auch gerne telefonisch bestellt.

Wie hat sich die Führung eines Unternehmens verändert von früher zu heute?

Mit zunehmender Größe geht eigentlich etwas verloren. Früher war ich häufig auf Messen, hatte das Produkt in den Händen und konnte mir es anschauen, war direkt am Kern unseres Geschäfts dran. Heute sitzt man vor irgendwelchen Excel-Tabellen und führt Gespräche mit der Bank. Das hat sich leider so ein bisschen verändert. Das ist der Lauf der Dinge und auch der Fluch des Wachstums. Klar, am Anfang waren wir zwei bis drei oder 10 Leute, da arbeitet man sehr eng mit dem Team zusammen. Und irgendwann entfernt man sich davon. Bei manchen Dingen ist es schön, groß zu sein, zu wachsen und bei anderen Dingen eben nicht. Ich würde sagen, es ist nicht besser, sondern anders. [lacht]

Ein Lowlight in 30 Jahren ikarus?

Ein Jahr bevor wir mit dem Onlineshop starteten, wurde in Frankfurt im Museum Angewandte Kunst [damals noch Museum für Kunsthandwerk] eine Shop-Fläche frei, die uns angeboten wurde. Wir entwickelten dafür in kürzester Zeit ein Konzept eines virtuellen Museumsshop, ohne unser komplettes Sortiment und ohne Personal.

Wir stellten eine Litfaßsäule in die Mitte des Shops und ließen eine Software programmieren. Wir wollten aber nicht einfach »irgendwelche« Produkte nehmen, sondern ließen diese von bekannten Designer:innen und Designjournalist:innen auswählen. Unter anderem dabei waren Tom Dixon, Matteo Thun, Konstantin Grcic, Sebastian Bergne und der damalige Kurator der Design-Abteilung des Museums Volker Fischer. Mit dieser Jury wählten wir jedes Jahr 20 Produkte aus. Anders als in einem konventionellen Museumsshop durften es aber auch Produkte sein, die größer sind und die man in der Regel nicht so einfach nach Hause trägt. Das wurde alles in Leuchtkästen präsentiert. In der besagten Litfaßsäule waren kreisrunde Ausschnitte, die die Produkte auf einem Bildschirm zeigten. Darüber konnte man diese einfach per Touchscreen bestellen. Die Bestellung kam dann wieder per Fax bei uns in der Zentrale an, wurde verpackt und direkt zum Kunden oder zur Kundin nach Hause geliefert.

Ich finde, es war eine tolle Idee für einen Museumsshop mitten in der Stadt. Aber: die Software in dieser Zeit 1996/1997 ist permanent abgestürzt und wenn sie mal nicht von selbst abgestürzt ist, kam eine Schulklasse vorbei. Eis ist auf den Monitoren gelandet und die Technik wieder ausgefallen. Nach zwei Jahren haben wir das Projekt dann aufgegeben – auch zu Gunsten des Internets. Das ist so ein Beispiel dafür, dass schöne Dinge auch manchmal einfach enden können, weil sie nicht funktionieren.

Ein Highlight in 30 Jahren ikarus?

Ein Highlight ist für mich das, was wir aus unserem Onlineshop gemacht haben. Ich erinnere mich – wir hatten damals die Domain ikarus.de gekauft. 1998/1999 mussten wir wieder sparen, mit jeder DM rechnen und da es weiterhin so wenige Verkäufe über den Onlineshop gab, überlegten wir die Domain wieder zu verkaufen. Das war schon sehr verlockend, die ca. 5.000 Euro dafür zu nehmen. Zum Glück entschied ich mich dagegen. Heute ist es völlig verrückt darüber nachzudenken. Das ganze Unternehmen ruht auf ikarus.de, dem Prinzip eine vernünftige Adresse zu haben. Das waren eben die Gedanken der Zeit, die uns am Ende auch zu dem gemacht haben, was wir heute sind.

Der Museumsshop im MAK, den es leider nur zwei Jahre gab. Die Leuchtkästen als »Bullaugen« zeigten die Produkte, die man vor Ort bestellen konnte.

Was sind die aktuellen Herausforderungen?

Aktuell ist die größte Herausforderung ganz klar die wirtschaftliche Situation bedingt durch den Krieg in der Ukraine, die Inflation und die Preiskämpfe, die am Markt stattfinden. Alle Händler haben die Lager voll, aber es wird günstig verkauft bei gleichzeitig steigenden Kosten. Papier zum Beispiel ist sehr teuer geworden... Im Moment leben wir schon in einer sehr spannenden Zeit.

Was macht ikarus aus?

Die Klammer, die wir bei ikarus versuchen zu finden, ist, dass wir langlebige, nachhaltige Produkte haben, die sich in einem noch erschwinglichen Rahmen bewegen. Nicht jedes Produkt ist für jeden erschwinglich, ganz klar. Aber das Ziel ist, dass wir eben auch gut gestaltete Produkte haben, die mit ihrem Preis überzeugen können. Dass auch beispielsweise Studierende, die ihr erstes Zimmer mit Ikea ausgestattet haben und nun nach hochwertigeren Möbeln Ausschau halten, bei uns fündig werden können. Dabei haben wir Stühle, die unter 100 Euro kosten. Aber eben auch welche, die 800 Euro und mehr kosten.

Gibt es ein Produkt, für das Ihr Herz besonders schlägt?

Aktuell finde ich den »118 Stuhl« von Sebastian Herkner für Thonet klasse. Wie mit leichten Änderungen so eine klassische Form genau in den Zeitgeist reinpasst, ohne historisierend zu sein, gefällt mir sehr, sehr gut.

Welche Einrichtungsstile und Designstücke findet man bei Ihnen zuhause?

Bei mir zuhause ist es schon sehr eklektisch, eine Mischung, die letztendlich aber gut zusammenpasst. Um meinen Esstisch stehen beispielsweise vierzehn verschiedene Stühle völlig verschiedener Typen und Stile: unter anderem der »Masters« von Kartell, die »Serie 7« von Fritz Hansen, der »Family Chair One« von Magis. Die Klammer ist in diesem Fall die Farbe Schwarz, die alle Stühle miteinander verbindet. Ich wohne in einer historischen Villa, die 150 Jahre alt ist – gefüllt ist sie aber mit modernem Design. Ich denke, alles lebt von diesem Spannungsfeld.

Links: Volker Hohmann an der Weißen Villa in Gelnhausen. Mitte: Im Eames Lounge Chair mit seiner Tochter und Kreativ-Direktorin von ikarus Kristin Hohmann. Rechts der besagte Tisch mit vierzehn schwarzen Stühlen.

Was macht gutes Design aus?

Langlebigkeit und es muss funktionieren. Wenn der Stuhl noch so besonders ist, aber man kann nicht lange darauf sitzen, macht auch das schönste Design keinen Spaß. Und es sollte ein Preis sein, der noch irgendwo realistisch ist. Ich denke, das kann man auf alle Produkte so übertragen.

Auf welches Produkt sind Sie aktuell besonders stolz und warum?

Da der Sommer nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt: Wir haben einen Tisch, den wir selbst produzieren, den »Stelle«. Er ist jetzt nicht super preiswert, aber auch nicht besonders teuer – aber das Preis-Leistungs-Verhältnis passt einfach. Das Design ist ganz einfach und schlicht und einfach perfekt für den Garten.

Welche Trends werden uns die kommenden Jahre in der Möbel-/Living-Branche beschäftigen?

Wohin es mit dem Design gehen wird, ob in eine bestimmte Farbigkeit oder zu einer bestimmten Stilrichtung, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob sich das immer so vorhersehen lässt. Aber ein Trend, der bestimmt dauerhaft bleiben und immer wichtiger werden wird, ist das Thema Nachhaltigkeit. Der schnelle Konsum wird zurückgehen und statt immer neu und viel zu kaufen, werden die Kund:innen eher auf Produkte mit Qualität und Langlebigkeit setzen. Und auch wir arbeiten stetig daran, unseren Kund:innen dieses Angebot zu ermöglichen und ständig zu erweitern.