Endlich wieder Messe: zu Besuch auf dem Salone del Mobile.Milano

Auf dem 60. Salone erwarten uns neue Perspektiven und mehr Nachhaltigkeit, Innovation und Verantwortung.

von

Natalie Glebe

Veröffentlicht am:

June 13, 2022 00:00

Lesezeit: ca.

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Der diesjährige und 60. (!) Salone del Mobile beschäftigte sich wie schon zuvor mit dem großen Thema, wie wir zukünftig und insbesondere in Beziehung mit der Natur leben wollen. Neue Perspektiven sollen laut Salone-Präsidentin Maria Porro eröffnet werden sowie der Fokus auf den Themen Nachhaltigkeit, Innovation und Verantwortung liegen.

Die großartige Installation »Design with nature« von Architekt Mario Cucinella nahm sich dessen an und kreierte ein virtuoses Ökosystem, das Möglichkeiten und Denkanstöße für die Zukunft lieferte. »Design with nature« – also mit der Natur designen – impliziert ein Hand in Hand gehen, nur das Nutzen, was vorhanden und verfügbar ist. Das Projekt betrachtete dabei im allgemeinen die Kreislaufwirtschaft und Wiederverwendung und spielte mit der Idee, dass Städte zukünftig mögliche »Reserven« sein könnten (»the city as a mine«), aus denen die meisten für den Bau verwendeten Rohstoffe stammen könnten. Aus dieser Perspektive könnten urbane Gebiete tatsächlich zur Reduzierung der Umweltbelastung beitragen. Des weiteren konnten wir auch diverse Ideen zu Recycling und Upcycling entdecken, wie Textilien oder Wandpaneele, die zu 100% aus recycelten PET-Flaschen bestehen. 

Alles was mehr als einmal verwendet wird, anschließend re- oder upcycled und somit das Nutzen von »Virgin« Rohstoffen mindert, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wie gut, dass wir das bei vielen Herstellern entdecken konnten.

Die Erwartungen an den Messestand von Kartell waren zugegebenermaßen groß – und wurden nicht enttäuscht. Man taucht sinnbildlich ab in die Welt von Kartell und läuft abgeschirmt vom Trubel der Gänge und anderen Stände einmal drum herum, bis man in der Mitte, im Kern des Standes angekommen ist. Hier ist es deutlich ruhiger fürs Ohr und Auge als »draußen«. Hier soll nichts ablenken, denn das Produkt steht im Fokus: keine eindrucksvolle Installation, sondern eine klare, gar schlichte Inszenierung der Neuheiten.

Nicht neu, aber irgendwie doch. Für den »Re-Chair« von Antonio Citterio kollaboriert Kartell nun mit illy, der italienischen Kaffee-Instanz. Gebrauchte Kaffeekapseln werden zurückgenommen, gesammelt und an Kartell geliefert. Die Kapseln werden anschließend geschreddert, zu »neuem« Kunststoff verarbeitet und per Spritzgießverfahren zu Re-Chairs geformt.

Tatsächlich neu hingegen sind unter anderem der Kunststoff-Stuhl »H.H. – Her Highness Chair« von Philippe Starck und die gemütliche Wohnzimmer-Kollektion »K« von Rodolfo Dordoni, die Sessel, Sofas, Teppiche, Leuchten und eine Dormeuse umfassen. Für Dordoni ist es die erste Zusammenarbeit mit Kartell, während Starck schon zwei, drei Jahrzehnte mit der italienischen Marke auf dem Buckel hat.

Im Gegensatz zu Kartell präsentiert Magis die neuen Entwürfe mit einem offenen Konzept. Es gibt keine umlaufenden Außenwände, sodass man den Stand von fast allen Seiten betreten kann. Ein entsprechend lebhaftes Ambiente findet sich hier. Besonders angetan hat es uns »Bouquet« von Brogliato Traverso: eine Kombination aus Vase und mobiler Leuchte. Ein scheinbar simples Objekt, das mit seinem sanften Licht ein wenig Magie versprüht. 

Auch ClassiCon ist immer wieder ein Highlight. Die Farbkuration und nahbare, erlebbare Inszenierung der Klassiker (Classic) von Eileen Gray mit zeitgenössischen (Contemporary) Entwürfen von u.a. Konstantin Gricic sind einfach ein Augenschmaus.

Fermob verzaubert uns mit einem liebevoll gestalteten Stand, der verdeutlicht, wie wunderbar die Fermob-Farben aufeinander abgestimmt sind. Wie gut die Grüntöne im Speziellen sowie die neue Farbe 2022 Schwarzkirsche mit der 2020er Farbe Gletscherminze miteinander harmonieren. Einfach ein Garten-Traum!

Bei Emu steht unter anderem die Serie »Twins« von Sebastian Herkner im Fokus. Die ab 2023 erhältliche Kollektion vereint Teak aus zertifizierter Forstwirtschaft und Aluminium in einer Serie. Die Produkte sind dann entweder komplett aus Teak oder als Teak-Aluminium-Mix erhältlich. So wie Zwillinge es (hoffentlich) meistens tun, ergänzen sich diese Produkte und lassen sich wunderbar miteinander kombinieren.

Neu ist auch »Camaleon« von Andreucci & Hoisl, ein modulares System, das miteinander kombiniert und aufeinander gestapelt als Regal, einfach als (Pflanz-)Tisch, als Blumenkasten, Sprossenwand, Aufbewahrung für Gartenutensilien und vieles mehr verwendet werden kann. »Camaleon« soll mit seiner/ihrer Besitzer:in mitwachsen und ist entsprechend erweiterbar je nach Platz und Bedarf. Ein langjähriger Nutzen ist somit gegeben und garantiert. Auch diese Neuheit ist ab 2023 erhältlich.

Mit der neuen Kollektion »Re-Rug« kreiert Nani Marquina für ihr gleichnamiges Unternehmen eine Teppich-Kollektion, die sich Produktionsresten ihrer Zulieferer annimmt. In jedem Re-Rug-Teppich werden 1 kg/m² Wollreste verarbeitet und somit als direkter und sichtbarer Einfluss Müll vermieden. Zudem verringert nanimarquina so den CO2-Ausstoß, da keine neuen Rohstoffe hergestellt werden müssen.

Die Berge an Müll, die bei Messen entstehen sind sicherlich kaum vorstellbar. Dabei reden wir nicht vom Catering, sondern den Ständen, die oft nicht wieder verwendet werden (können). Nanimarquina ist sich dessen bewusst und wird (oder hat bereits) die Wollberge, die den Stand dekorieren und für »Re-Rug« gesammelt wurden, an das katalanische Unternehmen »Iaios« liefern, das daraus Pullover herstellen wird. Der CO2 Fußabdruck des Transports wird so laut Unternehmensangaben vollständig kompensiert.

Gerne mehr solcher Ideen: let’s »explore the beauty of waste«!

Tropischer Farbrausch bei Ames. Kreative und humorvolle Keramik bei Bosa. Minimalistische Regale bei Kriptonite. Drei Marken, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber eines gemeinsam haben: Handwerk bewahren.

Man hat gespürt, wie sehr die Branche Live-Events braucht: um sich zu vernetzen, auszutauschen und weiterzuentwickeln. Natürlich funktioniert ein Austausch auch in Online-Meetings und Produkte kann mich sich auch auf Websites anschauen. Für das reale Gefühl für ein Produkt, haptisch wie optisch, und unabhängige Inspiration braucht es aber nach wie vor Fachmessen und Events, auch wenn diese aktuell noch nicht in 100 Prozent nachhaltiger Art und Weise möglich sind.

Fuorisalone & Milan Design Week: Besonderes außerhalb der Messe

Abseits der Messe sind es insbesondere die detailliert und liebevoll gestalteten Showrooms und Ausstellungen der vielen Hersteller mit teilweise spektakulären Installationen, die die Design Week in Mailand ausmachen. Man konnte bei sommerlichen Temperaturen quasi spüren, dass es allerhöchste Zeit für ein Wiedersehen der Designbranche war. Vermutlich ist das Ambiente in den Showrooms oder Installationen für ein Erleben der Produkte sogar schöner, kann man sie doch in einem kleineren Rahmen erleben, anfassen und Probe sitzen. Die lebhafte und pulsierende Stadt tut dann ihr Übriges…

Arco K – io sono Arco – I am Arco – je suis Arco. Mystisch und beeindruckend dreht sich hier Arco, 1962 entworfen von Achille and Pier Giacomo Castiglioni, um sich selbst, metaphorisch vom Marmor-Sockel befreit, während eine Stimme aus Perspektive der Leuchte ertönt und über sich erzählt. Die streng limitierte, einzigartige Arco K kommt zu ihrem 60-jährigen Jubiläum mit der Basis aus bleifreiem Kristallglas. Die Arco Bogenleuchte war übrigens das erste Produkt im Sortiment von Flos und entstand im Gründungsjahr des italienischen Leuchtenunternehmens. Also doppeltes Jubiläum!

Die Industriehalle, die Flos für die Ausstellung nutzt, wurde kuratiert vom Designstudio Calvi Brambilla und erfasst das Bedürfnis der Besucher:innen treffend. Unter dem Motto »see the stars again« findet man sinnbildliche Oasen (um diesen außergewöhnlichen und mitunter fordernden Zeiten einen Moment zu entfliehen), in denen man im Licht von Flos abtauchen und das Wiedersehen und die Kreativität feiern kann. Vertont wird die Ausstellung vom Künstler und Komponisten Davide Boosta Dileo, der sich auch für die Skulptur hier verantwortlich zeigt. Im abgedunkelten Raum erzeugt seine Installation Töne, die nächtlichen Rufen und Geräuschen der Natur nachempfunden sind und so die Leuchten von Flos und deren Nutzungsumgebung im Außenbereich verbindet.

Noch bis zum 24. Juni können Sie Flos und »see the stars again« in der Fabbrica Orobia 15 besuchen.

Im Circolo Filologico in der Via Clerici 10 ist das erste, was man sieht, das imposante von Sebastian Herkner für Thonet entworfene Karussell. Anschaulich werden hier Neuheiten und einige der ikonischsten Stühle der Designgeschichte präsentiert, ja gar gegenübergestellt und ein Spannungsfeld erzeugt. Drumherum laden Sitzecken mit verschiedenen Stuhldesigns aus dem Hause Thonet, wie in einem Wiener Kaffeehaus, zum Verweilen und Austauschen ein. Einer der interessantesten Orte während des Furonisalone möchte man meinen.

Der 1872 gegründete Circolo Filologico Milanese ist der älteste Kulturverein der Stadt und einer der ersten in Italien. Zweck ist die »Förderung und Verbreitung der Kultur und insbesondere des Studiums fremder Sprachen und Kulturen«. Neben dem Karussell von Thonet treffen wir hier in der Ausstellung »Design Variations« auf Kunst und Design verschiedenster Disziplinen: besondere Textilien von Kawashima Selkon Textile oder von Paolo Ulian entworfener Bufalini-Marmor, um nur zwei Werke zu nennen.

Wie gut skandinavisches und italienisches Design miteinander harmonieren und sich ergänzen, zeigt der Ausstellungsspace »D Studio« in der via Durini 14, in dem u.a. Louis Poulsen, Flos und B&B Italia ihre Produkte ausstellen und ihr Design-Erbe zusammenbringen.

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