Midgard – das Licht aus der Mitte der Welt

Leuchtet den Weg für modernes Design seit 1919

von

Natalie Glebe

Veröffentlicht am:

September 20, 2023 02:00

Lesezeit: ca.

10

Midgard – der Wohnort der Menschen in der Mitte der Welt. In der nordischen Mythologie war Midgard die Mitte der Welt. Dort lebten und sammelten sich die Menschen in der hektischen Welt zwischen Asgard, Heimat der Götter, und Jotunheim, Heimat der Riesen. Die nordische Mythologie war zur Zeit von Curt Fischer, dem Gründer von Midgard, en vogue, was die Namensgebung seines Unternehmens begründet. Die Mythologie besagt, dass die lichtscheue Schlange den Himmel vergiften wollte, die Leuchten von Midgard aber das Böse mit ihren Strahlen der Hoffnung fernhalten konnten.

Links der Eingang zur Werkstatt in Hamburg, in der Mitte das historische Logo, rechts ein Detail aus den Werkstatträumen. Viele der Leuchten hier sind einige Jahrzehnte alt.

Diese Geschichte beginnt 1919 im thüringischen Auma, als der Ingenieur und Unternehmer Curt Fischer das weltweit erste Patent für eine verstellbare elektrische Lampe anmeldet und erhält. Kurz darauf registriert er die Marke Midgard. Die Schlange im Logo soll – die Mytholgie mal außen vorgelassen – die Flexibilität seiner technisch bahnbrechenden und innovativ gestalteten Leuchten symbolisieren. Und die treffen in ihrer technischen Ästhetik und Raffinesse den Nerv der avantgardistischen Design- und Architekturszene – ob im 1926 neugebauten Dessauer Bauhaus, in den Häusern von Walter Gropius und Josef Albers oder in den Ateliers und Zimmern der Bauhaus-Design-Studenten. Nach der Verstaatlichung zum VEB Industrieleuchtenbau Auma in den 1950er Jahren folgten weitere bahnbrechende Modelle, darunter die Leuchten mit innovativer Federzug-Technik. Trotz erfolgreicher Reprivatisierung mit dem Ende der DDR war die Traditionsmarke 2011 insolvent.

Als David Einsiedler dies erfuhr, übernimmt er gemeinsam mit Joke Rasch nur wenige Jahre später selbst die Marke und belebt sie 2017 wieder – mit Erfolg. Vom für die Marke wenig aussichtsreichen Auma zieht es die Hamburger Einsiedler und Rasch in ihre Heimatstadt. Da sie mit der Übernahme auch alle Patente, das Archiv und die Originalwerkzeuge erstanden haben, können sie Midgard in der Hansestadt neu aufbauen.

Links ein Prospekt von ca. 1925. Rechts Originalwerkzeug im Jahr 2023.

Über 100 Jahre nach Gründung hat sich selbstverständlich viel verändert, doch die Treue zu den originalen, traditionellen Grundwerten ist auch nach der Wiederbelebung geblieben: hochwertige, zeitlose und funktionale Leuchten, gebaut für ein Leben lang und darüber hinaus. Nach wie vor werden diese in Deutschland hergestellt, genauer lokal in Hamburg, in einer kleinen Werkstatt, auf den Originalwerkzeugen von früher, ganz im Sinne des Erfinders Curt Fischer. Midgard arbeitet zudem mit lokalen Zulieferern zusammen, mit einigen schon seit den Anfängen.

Die »Ayno« Leuchtenserie ist auf das Wesentliche reduziert und kehrt auf spannende Weise ihr Inneres nach außen, in dem sie ihre Funktionsweise offenbart.

Gut siebzig Jahre nach dem letzten Entwurf war es 2020 Zeit für etwas Neues. Für »Ayno« war das Briefing natürlich klar auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Denn Midgard ist sich ihrer Verantwortung und der Relevanz von Nachhaltigkeit durch Design bewusst. Das geschah in der Vergangenheit wie selbstverständlich. Denn dank der hochwertigen Produktion mit recycelbaren Materialien konnten Kund:innen die Designklassiker von Generation zu Generation weitergeben und Einzelteile, die dem Verschleiß ausgesetzt sind, nach Bedarf austauschen.

Inspiriert von dieser Geschichte und Erfahrung als Wegbereiter verstellbarer Büroleuchten lotet Stefan Diez mit »Ayno« die Grenzen zwischen Ursprung und dem Status quo des lenkbaren Lichts aus. Ihr Design ist radikal und materialeffizient auf das Wesentliche reduziert, spielt mit der Ästhetik klassischer Bauhaus-Lampen und den zeitgenössischen Ansprüchen an nachhaltige, moderne Leuchten. Während der kegelförmige Schirm in recyceltem Kunststoff kommt, lassen sich Sockel und Arm aus pulverbeschichtetem Stahl trennen und recyceln. Aber dazu soll es natürlich bitte nicht kommen, denn auch das verbaute LED-Modul sowie der Trafo können unkompliziert ausgetauscht werden. Stefan Diez lässt sich insbesondere bei den Verstellmöglichkeiten etwas innovatives Neues einfallen: Kernstück aller Leuchten ist ein dünner, biegsamer Stab aus Fiberglas, der sich mittels Kabel und zweier Verstellringe individuell einstellen und zu einem Bogen spannen lässt. Kombiniert mit dem beweglichen Schirm lässt sich das warmweiße Licht flexibel in jede gewünschte Richtung lenken und erfüllt somit jedes Bedürfnis und jeden Anspruch an eine Leuchte.

Auch »Ayno« wird in Hamburg hergestellt – in den gleichen Räumen wie die Klassiker. Eine nach der anderen und mit viel Liebe zum Design. Wir haben das Midgard Team in Hamburg besucht und durften zuschauen, wie unsere Jubiläumseditionen der Federzug Tischleuchte gebaut werden.

Passende Stories:

3daysofdesign_teaser

3daysofdesign 2023

Natalie Glebe & Kristin Hohmann | 26.06.2023

Drei wundervolle Tage im Zeichen des Designs, der Kreativität und Vielfältigkeit vom 7. bis 9. Juni 2023

Jetzt lesen
blog-ph-5-teaser

»PH 5« von Poul Henningsen

Natalie Glebe | 13.06.2019

Die PH 5 Pendelleuchte von Poul Henningsen wird 60! Seit 1958 nahezu gleich von Louis Poulsen produziert, besticht sie auch heute noch in ihrem blendfreien, zeitlosen Design.

Jetzt lesen