Achtung Fälschung – Teil 1: Eames Plastic Armchair

Der Designklassiker aller Stühle schlechthin verführt zum Verfälschen: Welche Abzüge zum originalen Vitra Design von Ray & Charles Eames zu erwarten sind, zeigt unsere Kolumne »Original vs. Fälschung«.

von

Maren Tünker

Veröffentlicht am:

February 18, 2014 00:00

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Der Preis lockt – für ein Viertel des Original-Preises vom bekannten »Eames Plastic Armchair« greifen viele zum billigen Plagiat: ikarus prüft in seiner neuen Blog-Serie »Original vs. Fälschung« eingehend die gravierenden Unterschiede zwischen dem Designklassiker und seinem Plagiat!

Der erste, flüchtige Blick verrät nicht den gravierend qualitativen Unterschied: Zu genau hat der unbekannte Hersteller des Plagiat‌s den Original »Eames Plastic Armchair« von Vitra vermessen. Aber schon der zweite Blick verrät, warum das Plagiat wesentlich günstiger feilgeboten wird: Es hapert an allen Ecken und Enden am Material und seiner wirklich miesen Verarbeitung. Während die Sitzschale des Originals mit weichen Rundungen und glatter Fläche in zarter Kräuselung des äußerst strapazierfähigen Polypropylens becirct...

... »schlägt« bei der Fälschung nicht nur die Aufhängung des Gestells auf der Sitzfläche durch. Die gesamte Sitzschale aus kratzempfindlichen ABS Kunststoff ist nicht nur höchstgradig elektrostatisch aufgeladen, sodass Haare und Flusen am Stuhl regelrecht kleben, sondern zeichnet sich durch scharfkantige Entgratung der umlaufenden Wulst der Sitzschale aus. Aufgrund fehlender Verstärkung im ABS Kunststoffmaterial wie Glasfasern zum Beispiel, wirkt die Sitzschale der Fälschung weniger stabil, fast schon schwabbelig.

Das Plagiat verfügt auf der Stuhl-Unterseite über keinerlei Markenkennzeichnung. Neben den vier metallverstärkten Ansatzstellen für die Stuhlbeine fällt der nicht entgratete Ansatzpunkt aus der rotationsgegossenen Herstellung auf – wer hier hängenbleibt reißt sich gnadenlos empfindliche Stoffe auf.

Der originale »Eames Plastic Armchair« wird im Übrigen stets zusammengebaut von Vitra geliefert, um eventuelle Fehler im Zusammenbau des Armlehnstuhl‌es zu verhindern. Vitra kennzeichnet auf der Unterseite mit einer Vielzahl von Emblemen seinen Armlehnstuhl eindeutig.

Neben dem kreisrund eingeprägtem Herstellungsdatum weist die Materialkennzeichnung »PP« auf Polypropylen der Sitzschale hin. Desweiteren zeigt das GS-Siegel die geprüfte Sicherheit des Armlehnstuhl‌es und der Vitra Aufkleber zur Adresse, Artikelnummer und Sitzschalenfarbe die gestempelte Seriennummer. Jeder bei Vitra in Weil am Rhein produzierte Original »Eames Plastic Armchair« wird somit einzeln gezählt und sein Weg, nicht nur in der Produktion, ist somit nachvollziehbar!

Zur Sitzkante hin befindet sich auf der Unterseite des Armlehnenstuhl‌es die ausführliche Markenprägung »Eames Plastic Armchair«, »Design Charles & Ray Eames« und das »vitra. eames«-Zeichen. Schauen wir uns nun die Stuhlgestelle beider Stühle, links stets das Original von Vitra, rechts die Fälschung, genauer an.

Das Original besitzt stets ein zart gelbliches Ahornholz-Gestell namens »DAW« (Dining Armchair Wood), das mit feingeschliffenen Kanten und sauber gefrästen Aussparungen für die metallene Verschraubung trumpft. Das Plagiat dagegen wird aus günstigerem Buchenholz gefertigt; jedes Loch erfährt nach der Fräsung keinen weiteren Schliff. Zudem sitzen in der hölzernen Aussparung die Schrauben (trotz energisches Festziehen!) mit viel zu viel »Spiel«. Gravierend ist jedoch, dass durch dieses »Spiel« ein Ausschlagen der Löcher im Laufe der Zeit kaum verhindert werden kann.

Um ein Spreizen des Gestells erfolgreich von Anfang an zu verhindern, wird das Ahornholz am originalen DAW-Gestell fein säuberlich aufgefräst und innwändig mit einem Metallkern verstärkt, in dem die Verschraubungen punktgenau sitzen. Zwar weist der gefälschte Stuhl ebenfalls einen Metallkern auf, der jedoch wesentlich kürzer und somit zu viele Freiheitsgrade an den Verschraubungspunkten der Holzbeine zulässt.

Während die qualitativ hochwertige Verarbeitung des Vitra Originals mit exakt abgestimmten Verbindungen der Metallverstrebung aufwartet, zeigt das Plagiat an allen Ecken und Enden zu viel »Spiel«: Die Schrauben können nur unterschiedlich tief eingeschraubt werden – hier stehen sie ab, dort versinken sie. So sehr wir auch versuchen die Metallverstrebungen gleichmäßig an das Plagiat anzubringen, unser Latein versagt, dieses Gestell passend zu machen: Es ist immer verzogen!

Zu guter Letzt schauen wir uns noch die Füße an: Der originale »Eames Plastic Armchair« zeichnet sich durch ein feingeschliffenes Ahornholz-Bein aus, das in dieser Version mit einem schwarzen Kunststoffgleiter für Teppichböden versehen ist. Vitra offeriert neben dem Kunststoffgleiter stets eine Stuhl-Version mit Filzgleitern, falls der Armlehnstuhl auf glatten Hartböden wie Parkett, Laminat, Fliesen oder Steinböden steht. Dagegen offenbart das Plagiat seine schlechte Verarbeitung auch am »unteren Ende«: Einfach abgesägt wird nicht immer mittig ein weißer Kunststoffgleiter aufgeschraubt. 

Kurz gesagt, der optische erste Blick trügt, denn die schlechte Verarbeitung der Fälschung erkennt jeder beim ersten Hinsetzen: Das Plagiat vollführt eine Grätsche, je schwerer der Sitzende, um so mehr »wandern« die Stuhlbeine auseinander. Dieses »Spiel« des Gestells setzt gravierend die Haltbarkeit herunter, d.h. das Plagiat wird eher früher als später einen Ermüdungsbruch erleiden. Wer nachhaltig einkaufen und langfristig mit seinem Stuhl wackelfrei am Tisch sitzen möchte, dem empfehlen wir das Original der von Ray & Charles Eames lizensierten Schweizer Marke Vitra, das wir in vielen Varianten in unserem ikarus...design shop offerieren.

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